Hin zu einer Glitteratur
Die erste Ausgabe der Glitter – Die Gala der Literaturzeitschriften betrachtet unter anderem Lieben, Freundschaft und auch »Nachbeziehungen« im LGBT-Spektrum. Epitext-Redakteur Rudi Nuss hat mit Donat Blum gesprochen, Schweizer Autor und Mitherausgeber der Zeitschrift.
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Meines Wissens nicht. Ich gehe aber mal davon aus, dass es im US-amerikanischen Raum Ähnliches gibt. Queerzines allgemeinerer Art, davon existieren aber auch hier viele. Zur Inspiration von Glitter trug beispielsweise das englischsprachige Berliner Magazin Bend-Over bei, das den Fokus auf Theorie und Fotografie setzte. Ein sehr progressives Magazin, nahe bei den Macher*innen und vor allem sehr lustvoll. Das soll auch Glitter sein.
Wo siehst du das spezifische Potenzial von Literatur, um LGBT-Thematiken zu be- und verhandeln?
Literatur hat die herausragende Eigenart, eine sehr intime Kommunikationsform zu sein. Mensch liegt im Bett und liest für sich allein, niemand korrigiert, niemand beobachtet – die lesende Person ist mit der Erfahrung ganz für und bei sich. Das eröffnet Räume, die wir uns ansonsten, unter sozialem Druck, vielleicht gar nicht zu betreten wagen würden. Wir können lesen und über Sexualität nachdenken, über Begehren, Lust, Abgründe und Ekstase. Wir können uns lesend in Figuren hineinversetzen, die ganz anders sind als wir, mit denen wir uns im realen Leben vielleicht nicht einmal trauen würden, ein Bier zu trinken, geschweige denn ins Bett zu gehen. Wir kriegen ihr Innerstes mit und können es mit unserem abgleichen. Für das Vermitteln von queeren Themen, die sich per Definition außerhalb der Norm bewegen und nicht für jeden alltäglich sind, ist Literatur so gesehen als Medium besonders interessant.
Natürlich handeln viele der Texte von Beziehungen – freundschaftlicher sowie romantischer und auch sexueller Natur. In dem Essay Mich nachbeziehen erkundet Lann Hornscheidt Formen des Miteinanderlebens fernab von konventionalisierten sexuellen, romantischen oder familiären Beziehungsvorstellungen. Welche Rolle spielen solche alternativen, unbürgerlichen Beziehungsformen für euch?
Da kann ich nur für mich persönlich sprechen: eine sehr wichtige Rolle! Ich empfinde die Auseinandersetzung damit, was »Liebe« ist, als ausgesprochen lustvoll, lehrreich und vor allem immer wieder befreiend. Erkenne ich Muster in meinem eigenen Beziehungsleben und kann mich in der Folge davon lösen oder zumindest die Regelhaftigkeit und die vermeintlich fixen Grenzen aufweichen, dann erfüllt mich das mit einem Gefühl der Befreiung, einem Gefühl wie nach einer Erkältung, wenn mensch endlich wieder durchatmen kann, oder aber als ob enge Stricke, die um meine Brust gebunden waren, gelöst werden – um das ein wenig pathetisch auszudrücken. Es ist schon so, in keinem anderen Bereich fühle ich mich so sehr in vorgespurte Normen gedrängt, wie im Beziehungsleben und in der Geschlechtsidentität. Höchstens der in unserer Gesellschaft herrschende Leistungsdruck kann da noch mithalten.
Viele der Texte behandeln Körperlichkeit, Sexualität und Grenzen. In Ivona Brdjanovics Texten werden Sexualität und Körperlichkeit eher nebenbei verhandelt. Vielmehr wird dort eine »Momentaufnahme zwischen Hier und Jetzt« gezeichnet beim Kontakt mit einem »fremden« Ort. Wie findet eure Auswahl statt, welche Ansprüche setzt ihr an queere Texte? Wann »glittert« Literatur?
In der Schweiz gibt es die Jugend-Zeitschrift Milchbüechli, die für sich im Sinne der positiven Aneignung die Begrifflichkeit »falschsexuell« beansprucht. Gemeint ist alles, was von der heterosexuellen Norm abweicht. Eigentlich mag ich keine Definitionen, die ad-negativum funktionieren, falschsexuell funktioniert aber ziemlich gut als Klammer für Glitter: Platz hat alles, was in irgendeiner Art und Weise die Heteronormativität in Frage stellt oder damit zu spielen weiß. Das können genauso queere Texte von heterosexuellen Autor_innen, wie biedere Geschichten von queeren Autor_innen sein. Einzig ein hoher literarischer Anspruch ist zwingend. Im Mittelpunkt steht die Sprache, der Rhythmus und der Umgang damit.
Ihr habt als Herausgeber*innen auch eigene Texte in die erste Ausgabe eingebracht. Wie steht ihr zu solchen »Selbstveröffentlichungen«?
Das ist aus der Not geboren. Wir sind mit einem sehr kleinen Budget gestartet. Damit ein Erscheinen trotzdem möglich wurde, haben wir beschlossen, die erste Ausgabe auch mit unseren Texten zu bespielen. Es schien uns wichtig, jetzt mal einen Grundstein zu legen, auf den dann aufgebaut werden kann. Persönlich biete ich lieber fremden Texten eine Bühne. Das erleichtert nicht zuletzt die Arbeit des »Anpreisens«. Ich rücke mich und meine Kunst auch nicht allzu gerne selber in den Fokus. Das sollen die tun, die daran Freude haben, die davon bewegt werden. Ich schätze ein Gegenüber – auch für den Arbeitsprozess. Weil ich aber an die Notwendigkeit einer queeren Literaturzeitschrift gesehen habe, war ich bereit, alles reinzugeben, auch mein Innerstes: meine Literatur.
Wann immer ein Projekt sich mit (queer-)feministischen Themen auseinandersetzt, erheben sich eigentlich immer Stimmen, die fragen: Ist das nötig? Brauchen wir das? Ist es jetzt nicht mal genug? Werden nicht schon queere Texte in Literaturzeitschriften veröffentlicht? Wart ihr mit solchen Legitimationsschwierigkeiten konfrontiert und wie würdet ihr die Wichtigkeit eures Unterfangen verteidigen?
Jep, dieser Kelch ging nicht an uns vorüber. Und ich kenne diese Fragen auch von allen anderen queeren Projekten, die ich auf die Beine gestellt habe und die sich nicht an ein ausschließlich queeres Publikum richteten. Dabei beantwortet sich die Frage eigentlich selber, zeugt sie doch von Unkenntnis der queeren Realität und der damit verbundenen Diskriminierung, die beispielsweise in der mit dieser Frage implizierten Bemühung, queere Realitäten un- und zumindest weniger sichtbar zu machen, deutlich wird. Und sie zeugt vom Unwissen, dass Minderheiten und Marginalisierte Raum brauchen, wo sie ihr immer wieder in Frage gestelltes Selbstbewusstsein ohne Vorbehalte aufbauen und stärken können.
Welche Vorstellungen hast du für eine zukünftige Glitteratur? Was wünscht du dir bezüglich der Repräsentation von LGBT-Identitäten und -Beziehungen in der weiten, weiten heterosexuellen Literaturlandschaft?
Ich wünsche mir Selbstverständlichkeit und Wertschätzung. Die Selbstverständlichkeit, dass queere Literatur Literatur ist, die beispielsweise auch Teil des Kanons und nicht nur einer »Nische« sein kann. Sowie die Wertschätzung, dass queere Literatur eine bereichernde Perspektive auf Macht- und Normstrukturen unserer Gesellschaft bietet.
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Glitter N°1 (2018) – Hrsg. Donat Blum, Ivona Brdjanovic und Huy Do. Mit: Antje Rávic Strubel, Ivona Brdjanovic, Donat Blum, Lann Hornscheidt, Tobias Urech/Era.
Erhältlich unter: www.queerbooks.ch
Donat Blum, geboren 1986 in Schaffhausen, hat am Schweizerischen und Deutschen Literaturinstitut studiert. Er schreibt Prosa und pendelt zwischen der Schweiz und Berlin. Sein Debut Opoe erscheint im August 2018 bei Ullstein fünf.