Shortlist 2018: Das Leben des Vernon Subutex


23. Mai 2018
von

Epitext-Redakteurin Alina Rathke beantwortet 13 Fragen zum Buch von Virginie Despentes, in der Übersetzung von Claudia Steinitz eingeladen zum 10. Internationalen Literaturpreis.



Das Leben des Vernon Subutex
von Virginie Despentes
aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 22 Euro

1. Der erste Satz
»Die Fenster im Haus gegenüber sind schon hell.«

2. Der letzte Satz
»Ich bin der Baum mit den nackten, vom Regen misshandelten Ästen, das Kind, das in seinem Kinderwagen schreit, die Hündin, die an ihrer Leine zerrt, die Gefängniswärterin, die die Gefangenen um ihre Sorglosigkeit beneidet, ich bin eine schwarze Wolke, ein Springbrunnen, der verlassene Bräutigam, der die Fotos seines früheren Lebens vorbeiziehen sieht, ich bin ein Penner auf einer Bank hoch oben auf einem Hügel, in Paris.«

3. Der stärkste Satz
»Wenn du wirklich Kohle brauchst, zum Beispiel zum Pennen, bleibst du stehen – setz dich bloß nicht hin – und bettelst lächelnd, wenn dir ein kleiner Witz einfällt, umso besser, die Leute, von denen du was willst, haben ein Scheißleben, vergiss das nicht; wenn du sie zum Lächeln bringst, sitzt ihnen das Geld lockerer, heulen tun sie selbst schon genug, also musst du sie unterhalten – sie lieben die Vorstellung vom armen Schlucker, der die Moral hochhält.« (S. 324)

4. Der Plot in fünf Wörtern
Die Mittelschicht löst sich auf.

5. Von dieser Figur werde ich noch träumen, weil…
Von der Hyäne, weil ihre Zerstörungskraft erschreckend und faszinierend zugleich ist.

6. Don’t judge this book by its cover. Oder doch?
Grundsätzlich judge ich alles nach dem ersten Eindruck: Buntes Cover, eine angedeutete Silhouette auf einem U-Bahnhof, oben rechts der Eiffelturm. Passt zum Text, in dem es bekanntlich auch um 1. einen Mann, 2. Paris und 3. ein (buntes?) Chaos geht, in dem er sich bewegt. Gefällt mir ganz gut und das Wichtigste: Alle drei Bände nebeneinander sehen schön im Regal aus.

7. Daran musste ich beim Lesen denken
Ich musste an die gut gekleidete Frau denken, die ihrem Sitznachbarn in der S-Bahn – nachdem ein Obdachloser nach Geld fragt – »Bei uns muss niemand obdachlos sein« zuraunt.

8. Das sagt der Autor/die Autorin über sein/ihr Buch
»Ich wollte einen kleinen, schmutzigen Abstiegsroman schreiben.«

9. Der schönste Satz, den ein Rezensent/eine Rezensentin über den Text geschrieben hat
»Die Figuren werden an keiner Stelle denunziert, und wenn der Roman ein zunehmend opakes Mysterium namens Gesellschaft schildert, dann werden die Menschen darin manchmal wieder durchsichtig.« Paul Jandl in der NZZ vom 23.9.2017

10. Der schönste Satz, den nie ein Rezensent/eine Rezensentin über die Übersetzung geschrieben hat
Jede Sprache hat auch eine eigene Umgangssprache, die auf jeweiligen popkulturellen Referenzen ihres Sprachraums basiert: Claudia Steinitz macht den deutschen Leser*innen alle diese Anspielungen erfahrbar und verständlich.

11. Das Besondere an diesem Buch ist…
Dass es durch die absolute Überzeichnung und all den Trash Wahrheiten erzählt.

12. An wen würde ich das Buch verschenken?
An Leute, die wütend sind.

13. Was macht das Buch mit der Welt da draußen?
Das Buch nimmt all die Scheiße auf und schleudert sie dreimal so heftig zurück.